»Hufnagel-Erlaß«
Der Geschäftsgang innerhalb der Heeresleitung fängt an, mir zu schleppend und zeitraubend zu werden. Sogar von mir durch mündliche Mitteilung oder schriftliche Randverfügung getroffene Entscheidungen bedürfen Tage, bevor sie ausgefertigt mir vorgelegt sind, Wochen oft, ehe sie den Bestimmungsort erreichen.
Oft bin ich überrascht, daß meine Anordnungen die Truppe noch nicht erreicht haben. An mich gerichtete Gesuche werden wiederholt, weil sie nach längerer Zeit noch nicht beantwortet sind.
Ich schiebe diese Verzögerungen gewiß nicht auf einen Mangel an Fleiß, sondern im Gegenteil auf ein Überhandnehmen bürokratischer Sitten. Wir fangen an, den Vorteil des Zusammenwohnens und Zusammenlebens gegenüber der Vielheit der selbständigen Central- oder Immediatstellen vor dem Kriege zu verlieren.
Ich fürchte, daß sich statt des Schriftverkehrs von Haus zu Haus jetzt einer von Zimmer zu Zimmer entwickelt,
Vor allem fürchte ich eine Ressorteitelkeit, die verlangt, zu allem und jedem gehört zu werden und nicht zuläßt, daß mir eine neue Form des Hufnagels vorgeschlagen wird, ehe nicht T 1, 2, 3, 4, A.A., Va, J.W.C. in 1-7, Rechtsabtlg. und Fricke ihr schriftliches Votum abgegeben haben und Meinungsverschiedenheiten durch eine Besprechung der Referenten ausgeglichen sind. Ich fürchte aber noch mehr, daß über diesen Hufnagel sowohl von selten der Abteilungen wie Inspektionen einzeln alle Truppenteile befragt worden sind. Wenn mir dann der Hufnagel zur Entscheidung mit a!lerseitiger Zustimmung von der allein maßgebenden Vet-Insp. vorgelegt wird, dann sind entweder inzwischen 100 Pferde unnötig lahm geworden oder es bleibt bei dem alten bewährten Hufnagel, und Ministerium und Truppe haben umsonst gearbeitet.
Ich ersuche alle Stellen der H. L., diesen Hufnagel als Symbol aufzufassen und mir zu helfen, daß eine bürokratische Schwerfälligkeit fernbleibt, die sich mit dem Soldatenstand nicht verträgt.
gez. von SEECKT
(von 1920 bis 1926 Chef der Heeresleitung der Reichswehr und offensichtlich nicht ganz ohne Humor)