Dieses Essay habe ich Anfang 2000 verfasst, als ich noch bei Bayer war.
Damals lag der Kurs (bedingt durch die Lipobay-Affaire) unter der 20 €-Marke; erholte sich bis Anfang 2015 auf über 140 € und liegt jetzt (bedingt durch den Kauf von Monsanto) unter 60
€.
Aber die Gedanken erscheinen mir immer noch aktuell.
(Stand 2023)
Demokratie im Unternehmen - ein Traum?
Shareholder Value und Machiavellistischer Absolutismus
Eine Art Menschenhandel?
Fast jeden Tag stößt man beim Lesen des Wirtschaftsteils der Zeitung auf Unwörter wie Portfoliomanagement, Aquisition, Desinvestition, und Rekonstruierung. Und zwar im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Unternehmen oder Teilen davon.
Offensichtlich will man durch diese Imponierbegriffe verschleiern, dass es sich dabei nicht nur um den Verkauf von Gebäuden und Maschinen; sondern von Menschen handelt!
In geradezu menschenverachtender Weise sprechen manche Konzern-Vorstände davon, Ihre Töchter zu verkaufen bzw. -als non plus ultra- zu versteigern.
Mit Recht hat Ex-Bundeskanzler Helmuth Schmidt vor einiger Zeit das Gebaren vieler deutscher Manager, Firmen wie Gebrauchtwagen zu verscherbeln, als gewissenlos bezeichnet.
Napoleon hat erkannt, wie wichtig der Korpsgeist - das Wir-Gefühl - ist und es militärisch ausgedrückt: „Die Moral ist ¾ der Kampfkraft“.
Hochbezahlte Unternehmensberater versuchen herauszufinden, warum bei den meisten Mitarbeitern großer Firmen der
Korpsgeist (heute mit dem Modewort „corporate identity“ bezeichnet) nicht mehr vorhanden ist.
Nach meiner Meinung ist das Vertrauen verloren gegangen. (Wie heißt der Slogan der Deutschen Bank so treffend: „Vertrauen ist die Basis von
Allem“)
Jeder hat Angst, verkauft und dann wegrationalisiert zu werden! Bis hinauf zur zweithöchsten Management-Ebene weiß oft keiner, ob er im nächsten Monat überhaupt noch bei seiner alten Firma ist.
Und ob es seine alte Firma dann überhaupt noch gibt!
Selbst wenn er nicht verkauft wird, wenn sich seine Firma nur mit einer anderen zusammenschließt (einen „merger“ durch eine freundliche oder feindliche Übernahme), ist dann plötzlich jeder Posten
doppelt besetzt. Und er liest dann, dass die neue große Firma durch den Abbau von Tausenden von nun überflüssigen Stellen ihren Börsenwert erhöhen wird!
Ein Paradebeispiel für die systematische Zerstörung des Heimatgefühls in einer Firma war Hoechst: Herr Dormann hat es in kurzer Zeit geschafft, dass ein über 130 Jahre altes Wir-Gefühl („wir sind nicht bei Hoechst – wir sind Hoechst!“) völlig vernichtet wurde.
Der Umgang von Konzernen und Nationen untereinander ähnelt sich sehr stark: Man wird dabei recht deutlich an die Sandkastenspiele der Kleinsten oder an die Kämpfe von Eingeborenenstämmen erinnert! Nicht umsonst gibt es den Spruch: ”business is war”!
Unser „Protein-Computer“ (Gehirn) hat sich seit etwa 1 Millionen Jahren nicht mehr verändert. Vor etwa 5.000 Jahren ging die Steinzeit zu Ende. Das heißt, dass 99,5 % der bisherigen Anwendungszeit dieses Computer-Modells in der Steinzeit lagen. Dafür ist es konstruiert. Und die heutigen Menschen handeln immer noch wie die Neandertaler. Doch dies ist eine andere Geschichte!
Das Unternehmen- ein Staatsgebilde?
Wenn wir ein Unternehmen mit einem Staatsgebilde vergleichen, ergeben sich einige interessante Parallelen und Schlussfolgerungen für die Zukunft:
Staat ==> Unternehmen
Staatsbürger ==> Mitarbeiter
Fürst ==> Unternehmenseigentümer (Aktionär)
Statthalter ==> Geschäftsleitung
machiavellistischer Absolutismus ==>shareholder value
Staatsliberalismus ==>???????
Viele Systeme sind selbstähnlich
Es ist durch die Forschungen des Mathematikers Benoit Mandelbrod bekannt, dass viele Systeme fraktale Gebilde sind. Das heißt, sie sind „selbstähnlich“: Jedes System besteht aus mehreren - ihm selbstähnlichen - untergeordneten (Hypo-) Systemen. Es steht in Wechselwirkung zu weiteren anderen (Parallel-) Systemen und bildet mit diesen wiederum ein übergeordnetes (Hyper-) System usw.
Das klingt etwas abgehoben, heißt aber nichts anderes, als dass große Dinge aus kleinen (ähnlichen) Dingen bestehen und dass diese großen Dinge wiederum die „kleinen“ Bestandteile von noch größeren Dingen sind.
Ein Haus besteht aus Wohnungen; eine Stadt besteht aus Häusern. Mehrere Städte bilden einen Städteverband. Mehrere Städteverbände ein Land usw.
Oder ein anderes Beispiel: Körperzellen organisieren sich zu Organen, Organe zu größeren Organismen und diese wiederum zu Verbänden usw.
Das Verblüffende ist, dass man oft von einem Fraktal auf das andere schließen kann: Bestimmte Mechanismen und Verhaltensweisen laufen auf allen Ebenen nach dem gleichen Muster ab.
Es ist deshalb naheliegend, eine wirtschaftliche (u.a. auch soziale) Organisation, wie z.B. einen Konzern, mit einer sozialen (u.a. auch wirtschaftlichen) Organisation, wie den Staat zu vergleichen.
Erstaunlicherweise bezeichnen wir die innere Ordnung eines Konzerns als „policy“, im Deutschen missverständlich mit Politik übersetzt (z.B. Qualitäts- bzw. Umwelt-Politik“). „Politeia“, die inneren Ordnung eines Gemeinwesens (polis = Stadtstaat) hat nichts mit dem zu tun, was die Bürger (griechisch „polites“) heute darunter verstehen.
Wem gehört der Staat?
Das Staatsverständnis war bis zum Aufkommen des Liberalismus über Jahrtausende so wie es Machiavelli formulierte: „..der Staat ist die Profitquelle des Fürsten“.
Der Fürst war sozusagen (einziger) „share-holder“ der Firma Staat, die ihm von Gottes Gnaden übergeben war und sich seit Generationen im Familienbesitz befand!
Vergleicht man dieses (aus der damaligen Sicht völlig normale) Verständnis („l‘etat c’est moi“) mit dem heutigen Verständnis der Firmen-Führer, so wird einem mit Erschrecken klar, was kommen wird!
Demokratie im Unternehmen - ein Traum?
Kein Fürst hat es auch nur im Traum für möglich gehalten, dass
· er - der rechtmäßige Inhaber und Besitzer - seine „Firma“ entschädigungslos an die „Beschäftigten“, d.h. die Staatsbürger verliert. Und einige der Fürsten haben nicht nur ihre Firma, sondern auch ihren Kopf verloren!
· die Bürger - neben Grund und Boden – nicht zu den Produktionsmitteln (den „assets“) seiner „Firma“ gehören, sondern dass umgekehrt die einzige Aufgabe des Staates ist, den Bürgern ein Leben in Würde und Freiheit zu ermöglichen!
· diese „tumben Toren“ (die straff geführt werden mussten, die nur ihren eigenen, kurzfristigen Vorteil im Auge hatten und denen der große Überblick und ein strategisches Denken völlig abging) seine „Firma“ nicht innerhalb kürzester Zeit in den Bankrott treiben und zerstören würden.
· die „Erweiterung des Lebensraumes“ als Begründung und treibende Kraft für Eroberungen und Kolonialismus der absolutistischen Staaten heute keine Rolle mehr spielt. Ist das ständige Streben eines heutigen Unternehmens nach Umsatz- und Gewinnsteigerung bzw. nach Größerwerden vielleicht auch ein Irrweg?
Gibt es einen Ausweg?
· Gibt es einen Ausweg aus der Misere, wie mit den „Bürgern“ einer Firma umgegangen wird? Gibt es nicht eine frappante Ähnlichkeit mit dem Fürsten, der - ohne irgendwelche Skrupel - einen Teil seines Landes mitsamt den darin lebenden Bürgern einfach verkaufte, ohne sie überhaupt zu fragen? Weil das nicht ins „Kerngeschäft" passte. Sozusagen eine Art von "machiavellistisches Portfolio-Management"!
Steuben, Schurz und Hecker konnten ja nach Amerika auswandern, wenn ihnen das nicht passte. Im Vergleich zu den Leibeigenen ein paar Generationen zuvor war dies durchaus ein Fortschritt!
Und heute können die Beschäftigten einer Firma ja auch kündigen, wenn ihnen diese absolutistische „leadership“ nicht passt.
· Gibt es überhaupt ein „Amerika“ (im fraktalen Sinne)?
· Wann wird es ein „Frankreich“ geben (ebenfalls im fraktalen Sinne)? Wann und unter welchen Vorbedingungen („warum essen sie keinen Kuchen, wenn sie kein Brot haben?“) entsteht die Revolution? Was ist das Hyper-Fraktal zu Brot? Kann man die ins Haus stehende (Re-)/(E)volution aufhalten?
Wenn man die Analogie „Unternehmen <> Staat” weiter gedanklich ausbaut könnte man geschichtliche Entwicklungen wie die Geschichte der Vereinigten Staaten auch so darstellen:
Die Beschäftigten der Tochter-Gesellschaft “Amerika” des Englischen Königs haben mit der Boston Tea
Party den Prozess der Übernahme der eigenen Firma durch die Arbeiter begonnen und dann 1783 ihre eigen Firma “USA” gegründet.
Makaber ist nur, dass diese “demokratisierte” Firma USA 1803 im sogenannten Louisiana-Purchase die Firma “Lousiana” samt allen Bewohnern (ohne diese zu fragen) von der ebenfalls
“demokratisierten” Firma Frankreich kaufte. Aber Indianer waren damals nicht als rechtmäßige Besitzer ihres Landes anerkannt.
Warum kaufen die Beschäftigten ihre Firma nicht?
Eine der möglichen Lösungsansätze wäre die völlig legale Übernahme der Firma durch die Beschäftigten.
Wie könnte das gehen?
Nehmen wir den Bayer-Konzern als Beispiel. Das Aktienkapital der Muttergesellschaft ist auf etwa 730 Millionen Aktien verteilt. Derzeit gehört den Mitarbeitern etwa 2,1 % des Grundkapitals. Wenn die gesamte Belegschaft (etwa 125.000 Beschäftigte) 51% der Aktien (und damit das Sagen) übernehmen wollte, müsste jeder Beschäftigte etwa 3.000 Aktien kaufen.
Bei einem Kurs von 50 Euro wären das rund 145.000 Euro, die jeder Beschäftigte zu investieren hat!
Zum Preis einer Eigentumswohnung wäre er dann ein wirklicher Mitbesitzer seiner Firma. Und kein Herr Dormann (oder wie er auch immer heißen würde) könnte ihn „verkaufen“ oder “feindlich übernehmen“.
Die Frage ist nur: Wie kann man 125.000 Leute motivieren, Geld aufzunehmen und in ihre eigene Firma zu investieren oder 25 Jahre lang etwa 15 % ihres Lohnes in Aktien der eigenen Firma anzulegen?
Und – wie bekommt der „Malocher“ es mental auf die Reihe, sozusagen „für sich selbst“ zu arbeiten? Und – welchen Sinn hat dann noch eine Gewerkschaft?
Eine neue Form der Selbstausbeutung oder „Nur die dümmsten Kälber...“
Statt dessen beteiligt sich der schlaue Mitarbeiter an einem Pensionsfonds, dessen Portfolio-Manager (im Interesse der Anleger) dann Druck auf seine Firmenleitung ausüben, durch Personalabbau den Gewinn zu erhöhen. Dadurch sichert der Investor zwar seine Pension, wird aber leider arbeitslos!
Es ist zu befürchten, dass nach einer kurzen Zeit des Selbstbetruges („nach mir die Sintflut“) diese neue Form der Selbstausbeutung sich zwangsläufig zu einer „Resonanz-Katastrophe“ aufschaukelt.
Wobei wir wieder bei der Frage wären: Wie und wann entsteht die Revolution?