So ändern sich die Zeiten
Vor ein paar Tagen habe ich von meinem Freund Horst Huck einen Stapel der Zeitschrift „Das Beste aus Reader’s Digest“ aus den 1960ern bekommen. Er hat wohl seinen Keller ausgeräumt und war sichtlich froh, dass sich jemand für den alten Plunder interessiert.
Als 15/16 Jähriger habe ich das Schmökern in diesem stockkonservativen Magazin genossen. Seltsam; denn eigentlich war ich damals in der „Sturm- und Drang-Zeit“ – der Pubertät. Na ja; vielleicht war es die Beobachtung der amerikanischen Mittelschicht von außen, die mich faszinierte.
Und so lese ich seit Tagen Berichte über das Gute im Menschen, Anekdoten über “Menschen wie Du und Ich“ („Menschen wie Du mich auch“ sagte ich damals) und „Humor in Uniform“.
Auf der 2. Seite vom Heft Nr. 11 aus dem Jahre 1960 schreibt der General Hans Speidel (Oberbefehlshaber der Verbündeten Landstreitkräfte Europa- Mitte) das Editorial. Und endet mit den Sätzen: „….So begrüße ich besonders, daß eine so lebensbejahende und wirklichkeitsnahe Monatsschrift wie „Reader’s Digest“ in den NATO-Ländern in der jeweiligen Landessprache gelesen werden kann. Sie dient so dem lebendigen Geist der NATO, denn das rein Soldatische und sogleich Menschliche ist all unseren Völkern gemeinsam.“
Seltsam verschwurbelt und kaum zu verstehen, dieser Schwulst des ehemaligen Stabs-Chef Rommels und (bis 1963) 4-Sterne-Generals der neuen Bundeswehr!
Neben den -aus heutiger Sicht- „unzeitgemäßen“ Artikeln, fasziniert mich besonders die altbackene Werbung in diesem Magazin:
Fernseh-Geräte (1 Programm und natürlich nur Schwarz-Weiß) ab 1.100 Mark, Constructa-oder Zenker Waschmaschinen ab 1.790 Mark. Und das bei Facharbeiter-Stundenlöhnen von 2-3 Mark! Was sind die meisten Sachen seitdem doch billiger geworden!
Umso mehr erschreckte mich die Werbung für den Mokka-Likör „Zaren-Kaffee“ aus dem Hause Anton Riemerschmid, von dem auch der berüchtigte „Escorial Grün 56 %“ kam:
Unter der Überschrift „Trinken Frauen mehr Alkohol als Männer?“ wird unverhohlen für das heimliche Schlückchen aus der als Kaffee-Kanne getarnten Schnapsflasche geworben.
Zitat:
„Sie erhalten Zaren-Kaffee (35 %) jetzt in einer richtigen, eleganten, weißen Kaffeekanne! Gönnen Sie sich
aus ihr „heimlich“ etwas Alkohol auf besondere Art.
Also, bevor Ihr Gatte nach Hause kommt, schnell ein Gläschen ZAREN-KAFFEE - dann wird der Abend noch mal so schön!“
Kein Wunder, dass wir 8 Jahre später gegen diese verlogene Gesellschaft demonstrierten!
Der Spruch „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“, mit dem wir gegen die „maskierten“ Magnifizenzen und Spektabilitäten demonstrieren, ist inzwischen obsolet: Die Professoren der Uni Bonn treten inzwischen wieder in Talaren mit Barett und Quaste auf. Und auch die Absolventen! So ändern sich die Zeiten!